Nachträglich geschriebener Text zu meiner Rede auf der Demo „Bayern bleibt bunt“, 6.10.2018 in Regensburg – erweitert um einige Hintergründe:
Der Samstag, der 6.10.2018 war ein guter Tag für die Demokratie in Deutschland. Drei sehr gut besuchte Demos an einem Tag, das macht Mut und gibt Kraft und das Vertrauen, dass man nicht der einzige ist, der eine bessere Welt für möglich hält.
Da ist die „Mia hams satt“-Demo in München mit 15.000 Teilnehmern. Kernforderungen sind „Bauernhöfe statt Agrarfabriken“ – „Natur statt Flächenfraß“ – „Saubere Luft statt Verkehrskollaps“. Rund 80 Organisationen haben aufgerufen, darunter der Bund Naturschutz, Campact, Naturfreunde, Slowfood, adfc, Bioland, Greenpeace, sogar die Hofpfisterei. Aber auch das „Bündnis Fürstenfeldbruck ist bunt nicht braun“ und das „Nord-Süd-Forum“. Die beiden Letztgenannten hätte man auf dieser Demo, die vorwiegend ein Umweltschutz- und gesunde-Nahrungsmittel-forderndes Publikum adressieren, nicht erwartet. Ein Blick in den Aufruf zeigt allerdings:
„… Eine Agrarpolitik, die weiter auf Intensivierung und Billigproduktion für den Weltmarkt setzt, endet zwangsläufig in einer industriellen Landwirtschaft, mit Megaställen und Minimalstandards bei Tierschutz und Ökologie. Und gefährdet durch Import-Futtermittel und Exportorientierung die Existenzgrundlage von Bäuerinnen und Bauern im globalen Süden.“
Es geht den Aufrufern offenbar um den Kampf für eine gerechte Welt, genau wie den Initiatoren der Regensburger Demo. Hier im Aufruf heißt es:
„Statt gerechten Welthandel zu fördern und Fluchtursachen zu beseitigen, werden menschenfeindliche Regime mit Geld und Waffen unterstützt und Kriege geführt.“
Nur: Wie fördert man gerechten Welthandel? Zunächst einmal geht es darum, weniger ungerechten Welthandel durchzusetzen! Das ist m.E. gegenwärtig das Hauptproblem.
Gerechter Welthandel und Milch
Am Beispiel des Handels von Milch kann man das gut erkennen. Milch ist bekanntlich kein High-Tech-Produkt. Kühe kann man fast überall auf der Welt halten, ohne Studium, ohne Milliardenkapital. Und tatsächlich ist es eine neue Erscheinung, Milch um den halben Globus zu schippern.
Wie kam es dazu? Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Milchproduktion in Deutschland politisch gefördert, und schon sehr bald wurde zu viel davon produziert. Das führte zu „Milchseen“ und „Butterbergen“ und lustigen Verkaufsaktionen kurz vor Weihnachten, wo pro Familie z.B. ein Kilo „Weihnachtsbutter“ verbilligt gekauft werden konnte (Vgl. „Der Spiegel“ von 1979: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-39909457.html). 1984 wurde dann die Reißleine gezogen und eine Milchquote eingeführt: Bauern durften nur noch so viel produzieren, wie sie „Kontingent“ hatten, wodurch die Mengen reduziert und die Preise stabilisiert werden sollten. Es wurden 10 % mehr Kontingente vergeben als es Nachfrage gab, um z.B. bei Hungersnöten etc.. helfen zu können.
Das System wurde 2015 ersatzlos aufgelöst. Ab 2015 herrschte auch bei der Milchproduktion wieder Marktwirtschaft. Den Landwirten wurde schon im Vorfeld eingeschärft, dass es dadurch zu einem Preisverfall kommen wird (der trat auch ein) und sie deshalb in neue Anlagen investieren sollen, um ihre Produktionsmengen zu steigern. Politik und Bauernverbände wollten offenbar wieder Milchseen und Butterberge?
Nein. Sie hofften auf den Export. Weil Deutschland und die Europäische Union inzwischen mit mannigfach Ländern Freihandelsabkommen abgeschlossen hatte, war der Weg geebnet. Diese Freihandelsabkommen kamen allerdings nicht auf der Basis von ausgewogenen Verhandlungen zustande. Wenn die Europäische Kommission für 25 EU-Mitgliedsstaaten mit einem gigantischen Markt mit einem afrikanischen Entwicklungsland verhandelt, dann gibt es vielfältige Möglichkeiten, den kleineren Verhandlungspartner über den Tisch zu ziehen.
Dazu muss man wissen, dass viele afrikanische Staaten auf Basis eines älteren Handelsabkommens (Lomé-Abkommen) die Möglichkeit hatten, ihre Waren zollfrei in die EU zu exportieren. Die neuen Handelsabkommen („European Partnership-Agreements“, EPAs) waren auf Gegenseitigkeit angelegt, auf ein „Wie-du-mir-so-ich-dir“. D.h., die Marktöffnung musste beidseitig erfolgen. Während sich bei den alten Handelsabkommen die armen Länder schützen durften, wurden in den neuen Handelsabkommen Marktöffnungen auf allen Seiten durchgesetzt, mitunter mit Übergangsfristen, doch das Ergebnis stellte eine Verschlechterung für die Länder Afrikas dar. Weil sich z.B. in Kenia eine Exportindustrie für Bohnen in die EU entwickelt hatte, war das Land für die EU erpressbar. „Entweder ihr lasst xy zu, oder wir verzollen eure Bohnen“ wird niemand im Verhandlungssaal so gesagt haben, doch die kenianischen Unterhändler wussten, dass es genau so sein würde, wenn sie der EU zu sehr die Stirn bieten. Ob man EU-Forderungen dann unmittelbar als „Erpressung“ bezeichnet, ist Geschmackssache. Im Ergebnis unterzeichneten immer mehr afrikanische Staaten neue Handelsabkommen mit der EU und immer mehr Grundnahrungsmittel konnten von der EU nach Afrika exportiert werden.
Aber das Preisniveau?
Doch wie können europäische Grundnahrungsmittel in Afrika konkurrenzfähig sein, wo doch dort das Preisniveau viel geringer ist? Zunächst exportiert die EU nicht Milch sondern Milchpulver. Der Transport kostet fast nichts (Einen großen Standardcontainer von Singapur nach Amsterdam zu transportieren ist für gut 1000 Euro möglich, die Transportkosten pro Kilo liegen dann bei ca. 4 ct.) Weiterhin exportiert die EU gern Magermilchpulver, d.h., Butter und Sahne bleiben hier. Und ein Blick ins Internet zeigt: Wer sich nicht eine Dose Magermilchpulver kaufen möchte, sondern mehrere Tonnen, der bekommt ein Kilo Magermilchpulver für weniger als 1,30 €. Man kann damit rund 7 Liter Milch anrühren, d.h., der Liter Milch ist dann für weniger als 20 ct zu haben. Wenn man die Milch auch noch mit Palmöl aufpeppt, wird es sogar noch attraktiver (natürlich um den Preis, dass man damit der Rodung der letzten Urwälder Indonesiens Vorschub leistet). Und mit solchen Preisen können nicht einmal die Bauern in Burkina Faso mithalten. Was sollen sie dann anderes tun als sich in Bewegung setzen und zunächst einmal versuchen, im nächsten Slum Arbeit zu finden. Und wenn das nicht klappt?
Dabei ist Milch natürlich nur ein Beispiel unter vielen. es sei an die EU-Hähnchenschenkel erinnert, die lokale Märkte in Ghana ruinieren, oder an die Fischereipolitik in Senegal – dort fischen EU-Industrieschiffe die Meere vor den Küsten leer – für Lau.
Fakt: Wir fördern die Verelendung und wundern uns über Migration. Wir erobern afrikanische Märkte und Rohstoffe – und wundern uns über Migranten.
Das verdeutlicht, dass die Demo in München und die Demo in Regensburg zusammengehören. In München geht es um regionale Lebensmittel und gerechten Welthandel: Wir sollen die hier produzierten Produkte hier konsumieren – und die anderen in Ruhe lassen. Bei der Demo in Regensburg geht es um gerechten Welthandel und bunte Regionen. Und bunt heißt eben auch: Keine Monokulturen für den Export, sondern Vielfalt überall. Zum Beispiel auch beim Nachdenken über Welthandel. Dort existiert ein Einheitsdenken, das den Planeten zerstört: Freihandel heißt, dass der Billigste sich auf irgendwelchen Märkten durchsetzen soll. Wenn EU-Milch in Zentralafrika billiger ist, dann haben die Europäer den Wettbewerb eben gewonnen. Dann steigt laut Theorie der Ökonomen der Wohlstand. Nur wo? Und wann? Und mit welchen Reibungsverlusten? Bei welcher Ungleichheit? Mit welchen „externen Kosten“? Und stets ist „Wohlstand“ auf das begrenzt, was mit Geld gekauft werden kann. Das ist alles reichlich primitiv. Bzw. Technokraten-Kälte. Und auch diese mangelnde Umsicht treibt der AfD die Leute in die Arme. Klar, das frustriert, dieses Gefühl, wenn selbst Politiker meinen, nicht sie würden regieren, sondern „Märkte“, „Systeme“, „Sachzwänge“. Deshalb diese Demos, damit Politiker wieder das tun, für was sie bezahlt werden: Systeme und Institutionen so verändern, das sie der überwältigenden Mehrheit der Menschen tatsächlich nützen.
Leider lässt sich die Kernforderung der Regensburger Demo, „Bayern bleibt bunt“, alias „Bayern bleibt vielfältig“ nicht in Marktpreisen ausdrücken. Es ist eben eine menschliche Forderung, gegen Einheitsdenken, gegen Einheitshautfarben, gegen Einheitsbrei zu sein. Es ist schlicht bereichernd, für Geschmacksvielfalt und Artenvielfalt einzutreten.
Hambacher Forst
Eine dritte Demo an diesem Samstag gehört übrigens auch in diese Kategorie: Im Hambacher Forst geht es nur symbolhaft um ein Stückchen Wald, dort findet ein Großkampf gegen ökonomische Effizienz statt. Weil der RWE-Konzern seine Gewinne maximieren will, soll dort gerodet werden, nicht weil es zur sicheren Stromversorgung notwendig ist. Doch hinter dem Motto „Hambi bleibt“ bzw. „Raus aus der Kohle“ können sich ungleich mehr Menschen versammeln und ihrem Gefühl Ausdruck verleihen, dass eine bessere Welt möglich ist.
Die Demo im Hambacher Forst hat gleichgerichtete Auswirkungen wie die Demos in Regensburg und München: Sie führt dazu, Fluchtursachen zu bekämpfen. Denn der Kohleausstieg ist Voraussetzung für weniger Klimawandel. Seit einigen Jahrzehnten schon beobachtet man in Afrika, dass es am Äquator mehr und in der Sahel-Zone weniger regnet. Die Ursache ist der Klimawandel, und den haben weder Mauretanien, noch Somalia, noch Ghana verursacht. Sondern in ganz relevantem Umfang RWE und Konsorten. Es ist gar nicht so weit hergeholt zu behaupten, dass mit jedem Baum, der im Hambacher Forst fällt, irgendwo in der Sahel-Zone ein Mensch seine Heimat verlieren und sich auf den Weg machen wird.
Von einem Gericht wurde nun vorerst das Fällen des Waldes gestoppt. Ursache war eine Klage des Bund Naturschutz. Dies zeigt auf sehr schöne Weise, wie verschiedene Aktionsformen von Nichtregierungsorganisationen Hand-in-Hand gehen und Wirkung entfalten können. Der öffentlichkeitswirksame Protest ist genauso wichtig wie die Gremienarbeit. Wir alle können daraus Kraft schöpfen, dass politisches Engagement wirksam ist. Dass Demokratie mehr als Wählen ist.
Fazit
Die Welt wird bereits gerechter, wenn wir andere mehr in Ruhe lassen! Deshalb darf es keine Exportorientierung bei der Produktion von Grundnahrungsmitteln geben. Dass in Einzel- und Notfällen auch Grundnahrungsmittel gehandelt werden, ist logisch. Aber als Strategie, um Märkte zu erobern, widerspricht es einem Recht, das jeder Region der Welt zugesprochen werden sollte, der Ernährungssouveränität. Jede Region der Welt soll die Nahrungsmittel, die es meint selbst herstellen zu wollen, unabhängig von allen Handelsverträgen selbst produzieren dürfen. Grundnahrungsmittel haben in Handelsverträgen nichts zu suchen.
Das bedeutet vor allem auch, wir müssen weg von der Überproduktion, d.h., unsere Landwirte müssen weniger produzieren. Doch dann müssen wir mehr für deren Produkte bezahlen, damit auch Landwirte leben können. Vernünftige Löhne brauchen alle!
Fluchtursachen bekämpfen heißt: Die Agroindustrie bekämpfen. Heißt Fusionen wie zwischen Monsanto/Bayer bekämpfen. Heißt: Raus aus der Kohle. Heißt: bäuerliche und Bio-Landwirtschaft fördern. Auch deshalb trifft man mich öfter mal im Bioladen.